Klimawandel: Zustand der Ozeane Verschlechtert sich Rapide
Es ist ein deutliches Alarmsignal. Die Forscher des International Programme on the State of the Ocean (IPSO) und der Weltnaturschutzunion IUCN widersprechen in ihrem neuesten Bericht zum Zustand der Weltmeere den Erkenntnissen und Warnungen des Weltklimarates IPCC: Was die Ozeane angehe, sei alles noch viel schlimmer, als im letzten Bericht des Klimarates geschildert. In drastischer Form warnen die Experten vor den Konsequenzen einer zunehmenden Versäuerung des Meerwassers. In Kombination mit anderen, ebenfalls meist von Menschen verursachten Faktoren führe die zu den massivsten Veränderungen der Lebensbedingungen in den Meeren seit über 300 Millionen Jahren. Schon jetzt messe man PH-Werte, wie es sie seitdem nicht mehr gegeben habe.
Im Zeitfenster zwischen dem oberen Devon (vor etwa 360 Millionen Jahre) und der Perm-Trias-Grenze (vor etwa 252 Millionen Jahre) kam es zweimal zum massiven Massenaussterben marinen Lebens. Wahrscheinlich war die Katastrophe auf die Faktoren Erwärmung, Übersäuerung und absinkende Sauerstoffgehalte zurückzuführen.
Genau das geschehe nun auch, und die Gründe scheinen klar: Die Verschlechterung ist maßgeblich vom Menschen verursacht. Mit erheblichen Konsequenzen für das gesamte Leben auf der Erde - und mit weit massiveren Rückwirkungen auf das Klima, als dies der IPCC-Bericht erfasse.
Der aktuelle Warnreport ist die Zusammenfassung von hochkarätig besetzten Workshops, die IPSO und IUCN zwischen 2011 und 2012 zu verschiedenen Aspekten der Entwicklung mariner Biotope abhielten. Er entwirft das alarmierende Bild von sich gegenseitig verstärkenden negativen Effekten, die meist unabhängig voneinander betrachtet würden, zusammengenommen aber eine ernsthafte Bedrohung für das gesamte Leben darstellten.
"Die Veränderungen, die wir für die Zukunft erwartet haben", sagte Chris Reid vom Meeresforschungsinstitut der Universität Plymouth in einem Interview zur Veröffentlichung des Berichtes, "sehen wir heute. Ich mache mir ernsthafte Sorgen um die Zukunft meiner Enkel. Diese Veränderungen werden uns in den nächsten paar Jahrzehnten alle betreffen."
Was da möglicherweise auf uns zukommt, wäre ein wahres Horrorszenario:
- Sinkender Sauerstoffgehalt des Meerwassers: Bis 2100 könnte der Sauerstoffgehalt der Ozeane um 1 bis 7 Prozent abnehmen. Ein erheblicher, lebensbedrohlicher Stressfaktor für das marine Leben. Als Hauptursachen benennt der Bericht zum einen die Erwärmung der Ozeane (warmes Wasser bindet weniger Sauerstoff), zum anderen die Einleitung von Nährstoffen und Phosphaten aus Abwässern und Landwirtschaft. Beide Faktoren führten bereits jetzt zur zunehmenden Verbreitung faktisch lebloser Meeresgebiete. Das größte von allen liegt in der Ostsee: 75.000 Quadratkilometer galten dort Anfang 2013 als sauerstoffarme oder - freie "tote Zone".
- Versäuerung des Meerwassers: Zunehmende Aufnahme von CO 2, das im Meerwasser als Kohlensäure gebunden wird, senke die PH-Werte des Wassers merklich. Dadurch falle es Korallen, Muscheln und anderen Lebewesen zunehmend schwer, ihre Kalkschalen zu bilden. Ihr Rückgang bedrohe nicht nur die Sicherheit der Küsten, sondern auch die Biodiversität und somit die Nahrungsketten.
- Erwärmung: Der größte Teil der auch im Weltklimabericht der IPCC dokumentierten Erwärmung betrifft die Weltmeere. Der IPSO/IUCN-Bericht warnt vor sich gegenseitig verstärkenden Faktoren, die der IPCC-Bericht zum Teil gar nicht erfasse. Dazu zählen IPSO/IUCN die wachsende Verbreitung sauerstoffarmer oder -freier Meeresschichten und -gebiete und die zunehmende Freisetzung von Methan vom Meeresboden sowie aus dem schmelzenden Permafrostboden.
- Diese und weitere das Meeresleben bedrohende Faktoren wie Überfischung und die rapide Verteilung von Schadstoffen drohten, kaskadische Effekte zu erzeugen, die negative Entwicklungen weiter beschleunigen könnten.
Alex Rogers, Biologieprofessor an der Universität Oxford und wissenschaftlicher Leiter des IPSO, versucht die Tragweite der marinen Veränderungen mit einem popkulturell inspirierten Vergleich klarzumachen: "Wenn außerirdische Eroberer kämen und 19 Prozent des Lebens in unseren Korallenriffen vernichteten, dazu fast 90 Prozent des marinen Lebens, auf das wir für unsere Ernährung angewiesen sind, wie würden wir darauf reagieren?"
Es gäbe eine weltweit koordinierte Reaktion auf so eine massive Bedrohung des Lebens, glaubt er. Rogers: "Man würde zusammenrücken, um in irgendeiner Weise gegen diese Eindringlinge, die unseren Planeten zerstören, vorzugehen." Das Problem sei nur, dass wir diese Eindringlinge seien und genau das gerade täten: "Das verlangt also eine Form der globalen, gemeinsamen Reaktion."
Als notwendige Maßnahmen sehen IPSO/IUCN:
- Absenkung der CO2-Emissionen, um den Temperaturanstieg unter zwei Grad Celsius zu halten. Die derzeitigen Klimaziele reichten nicht aus, die Effekte des Korallensterbens und der Meerwasser-Versauerung zu verhindern.
- Neuregelung der Fischerei und anderer Nutzungen mariner Ressourcen, um die Biotope zu entlasten. Verhinderung von Überfischung durch Förderung ökologisch verträglicher Fischerei, Verhinderung von Überproduktion und Verbot der destruktivsten Fischtechniken.
- Aufbau einer effektiven, weltweiten Aufsichtsinfrastruktur, um nachhaltige Nutzung und Schutz der Meere zu gewährleisten.
Photo: My Maldives by Andrew Harrison